SPÖ und die Gerechtigkeit – Ein offener Brief an den Bundeskanzler zu den aktuellen Abschiebungen

Im heutigen (31.07.2013) Mittagsjournal auf Ö1 erbittet Wahlkampfleiter Darabos eine sachliche und seriöse Diskussion rund um die Abschiebungen der pakistanischen Refugee-aktivisten. Dabei macht er klar, dass die SPÖ nicht nur voll hinter den Abschiebungen steht, sondern auch selbst an diesen zweifelhaften und menschenverachtenden Gesetzen mitgewirkt hat und auch noch stolz darauf ist. Darabos verbittet sich „unseriöse Zurufe sowohl von Links als auch von Rechts“ und macht damit offensichtlich was viele schon wissen, die SPÖ sieht sich selbst weder als links noch als recht, und möchte trotzdem mit dem BZÖ, Team Stronach, FPÖ und der ÖVP um Stimmen aus dem rechten Lager kämpfen.

Während alle Parteien an verschiedensten Fronten in nahezu jeder Wahlkampfforderung Gesetzesänderungen vorschlagen, werden die Asylgesetze von SPÖVP als nahezu heilige Gesetze gesehen, die makellos sind, nach denen zu handeln ist und die nicht in Frage gestellt werden dürfen. Da die SPÖ jedoch schon wieder auf zahllosen Werbeplakaten „Gerechtigkeit“ fordert, sah ich mich dazu veranlasst Bundeskanzler Faymann einen Brief zu schreiben, mit der Bitte diese Plakate abzunehmen, da die SPÖ nun hinlänglich bewiesen habe, dass sie an Gerechtigkeit nicht interessiert ist.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Ich würde Sie bitten ihre Wahlkampfplakate auf denen groß „Gerechtigkeit“ plakatiert wurde abzunehmen, da Sie mit ihrer bedingungslosen Unterstützung der skandalösen Abschiebepraxis in Österreich, endgültig und hinlänglich bewiesen haben, dass ihnen Gerechtigkeit kein Anliegen ist. Offensichtlich glauben Sie an eine Form von Gerechtigkeit an der nur einige teilhaben können, an eine Gerechtigkeit aus der hier lebende, hier Schutzsuchende dezidiert ausgenommen sind, dies allerdings ist keine Gerechtigkeit.
Mir ist klar, dass AsylwerberInnen, da diese kein Wahlrecht besitzen, für Sie in Zeiten des Wahlkampfes völlig uninteressant sind, und Sie sich offensichtlich lieber mit 5 anderen Parteien um konservative und rechte Stimmen bemühen.
Die abgeschobenen Männer sind besonders durch ihr äußerst wertvolles politisches Engagement (das gefördert werden muss und nicht bestraft werden darf) in diesem Land – in der Organisierung und Teilnahme des Refugeecamps – in Pakistan gefährdet. Es kann und darf nicht hingenommen werden, dass der Wahlkampf um die rechten Stimmen in Österreich auf dem Rücken von Menschen ausgetragen wird, die in dieses Land gekommen sind um hier Schutz zu suchen. Hier geht es nicht um Wahlkampfrethorik oder Parteispiele, es geht um Menschenleben. Wenn sogar bekannt konservative Kirchenmänner diese Asylpraxis in Österreich kritisieren können, würde ich mir dies auch von SozialdemokratInnen, die doch sonst so gerne auf Menschlichkeit und Gerechtigkeit verweisen, erwarten.

Dass die Abschiebungen gesetzlich gedeckt sind, entbindet weder jeden sozial denken Menschen davon gegen diese Abschiebungen aufzutreten, noch nötigt es Amtsträger dieses unmenschliche und erbärmliche Spektakel zu verteidigen, vielmehr nötigt es zur Kritik an diesen menschenrechtswidrigen und ungerechten Gesetzen.

Auch wenn es für die bisher abgeschobenen Menschen zu spät kommt, ist es nie zu spät eine öffentliche Kritik an den Asylgesetzen und der Abschiebepraxis zu üben und grundlegende Reformen hin zur Menschlichkeit und der so oft plakatierten Gerechtigkeit zu fordern. Wahlkampf hin oder her.

Ich hoffe dass Sie wenigstens ehrlich genug sind die Gerechtigkeitsplakate abzunehmen.

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Im Zentrum … Der Quote zuliebe

ORF-Frank … der Quote zuliebe
Diese heutige Ausgabe von Im Zentrum war zumindest auf einer Linie ein voller Erfolg. Denn selten zuvor wurde offensichtlicher was mit dieser Sendung und ihrer wöchentlichen Prämisse alles falsch läuft.

Da bequemt sich Frank Stronach mal wieder in Österreich vorbeizuschauen, und um auch gleich alle wissen zu lassen dass er wieder da ist verbreitet er oder seine Parteileute irgend eine kontroverse Aussage, diesmal halt seine altbekannte Aversion gegen Gewerkschaften. Im Zentrum reagiert wie gewohnt. Egal wie neu oder sinnvoll Stronachs angebliche „angestoßene Diskussion“ auch immer sein mag, Stronach bekommt sofort eine eigene Sendung. Hier darf er sich elends lang erklären (selbst wenn er nichts zu sagen hat) und der Form halber werden noch ein paar andere Gäste eingeladen, aber der Ablauf der Sendung hängt wesentlich an Stronach. Soweit so bekannt, dieses Muster konnten wir nun schon bei mehreren grandios gescheiterterten Im Zentrum Sendungen verfolgen.

Ingrid Turnher twitterte kurz vor Beginn der Sendung: „ich glaube, heute geht’s rund bei #ImZentrum: Stronach und Foglar über Gewerkschaft. 2 Werkzeugmacher prallen aufeinander…“ und genau hier lässt sich der Fehler im Denken der Im Zentrum Redaktion auch schon ausmachen. Es geht nur um Quote. Stronach bringt Quote, auch wenn er nochamal und nochamal immer dasselbe sagt. Konfrontation, so die Meinung der ORF Redaktion, bringt Quote. Stronach und Streit bringt doppelt Quote. Ohne jegliche politische Aktualität wird nun also darüber diskutiert ob es überhaupt Gewerkschaften braucht. Die Frage ist schnell erledigt, ja es braucht sie, heute genauso wie früher, und nein, mein Mitleid mit Stronach und der Investorengruppe die mit dayli das sonntägliche Duschgelkaufen etablieren wollte hält sich durchaus in Grenzen. Die eigentlichen relevanten Fragestellungen, wie z.B. die Gewerkschaft darauf reagiert dass immer mehr Menschen prekarisiert und als Scheinselbstständige arbeiten müssen, können in einer rein auf Konfrontation ausgelegten und dementsprechend völlig überhitzten Disskussionsrunde gar nicht besprochen werden, obwohl gerade im Hinblick auf die freien MitarbeiterInnen im ORF, diese Frage auf diesem Sender diskutiert werden sollte.

Es kommt wie es kommen muss, die Gäste schreien wild durcheinander, allen voran Stronach, der – oh große Überraschung – seit dem letzten Mal Im Zentrum Stronach Spezial immer noch nicht verstanden hat was eine Diskussionssendung von einer gekauften Monologsendung unterscheidet, wie soll er es auch lernen, wenn ihm der ORF gratis diese Bühne bietet. Als ob es nun jetzt noch nicht genug wäre, dass Stronach das Thema setzen durfte, und dann auch noch das erste Wort, das Schlusswort und eigentlich auch so ziemlich jedes andere Wort bekommt oder sich auf gewohnt herablassende Art und Weise einfach nimmt, wurde diese ganze durcheinanderschreiende Stronachfarce auch noch von einem Publikum lachend, klatschend und gröllend unterstützt. Dies wirft einige Fragen auf. Offiziell werden die Publikumskarten bereits vor Bekanntgabe des Themas vergeben, auch klar ist aber dass nicht jede Woche so viele ZuschauerInnen am Sonntag Abend den beschwerlichen Weg zum ORF-Zentrum wagen. Der Andrang auf die Publikumskarten wird sich also durchaus in Grenzen halten, wie die Plätze dann gefüllt werden kann sich wohl jeder denken. Was war das nun heute mit diesem Publikum, dass praktisch ausschließlich nur für Stronach geklatscht hat und Foglar und co lauthals ausgelacht hat. Ich will weder Stronach vorwerfen das Publikum gekauft zu haben, noch weniger möchte ich dem ORF etwas unterstellen. Klar ist jedoch, dass ein derart tendenzielles Publikum, das derart hysterisch jeden Satz von Stronach frenetisch bejubeln musste Fragen aufwirft und Vermutungen schürt.

Daher verlange ich vom ORF eine ausführliche Stellungnahme zu dieser Sendung und diesem Publikum.

Dabei genügt es für mich in keinster Weise wenn darauf hingewiesen wird, dass die Karten jedem und jeder zugänglich sind, früh vergeben werden oder verlost werden. Es genügt mir auch nicht darauf hinzuweisen dass Stronach bei manchen Leuten gut ankommt und sie daher gerade bei ihm gerne klatschen. Denn dieses Publikum hat bei weitem zu homogen und zu auffällig agiert. Daher fände ich eine Stellungnahme und eine ernsthafte Untersuchung für unbedingt notwendig.

Fakt ist aber auch, dass diese Sendung auch ohne ein eigenartig auffallendes Publikum gescheitert wäre. Denn die Prämisse der Sendung ist schlicht und einfach eine hohe Quote, und dies muss für jede Informationssendung im öffentlich rechtlichen Rundfunk fatal enden. Denn an erster Stelle sollte die Qualität stehen. Da ich selbst Teil eines Redaktionsteams einer Diskussionssendung (Supertaalk) bin weiß ich dass nicht jede Sendung immer auf gleichem Niveau verlaufen kann. Diese Sendung war jedoch zum Scheitern verurteilt. Der verzweifelte Kampf um die Quote führt dazu, dass nicht mehr politische Aktualität ja nicht einmal gesellschaftliche Relevanz die Themen bestimmen, sondern Marketingberater von Frank Stronach. Jede noch so jenseitige Aussage von Stronach bekommt gleich eine eigene Im Zentrum Ausgabe, anstatt das ernsthafte und relevante Themen besprochen werden. Und dann muss noch jedes Podium immer so besetzt werden, dass es möglichst kontrovers wird, um möglichst jede inhaltliche Diskussion zu verhindern und möglichst viel Quote zu erzeugen. Da darf ein Herr Jeannée über Altherrenwitze reden, vorgestrige Deutschnationale über Asyl und eben auch ein milliardenschwerer Großunternehmer der eine neoliberale Partei gründet über die Gewerkschaft. Wegen der Quote warads gwesen. Dieses Phänomen geht jedoch leider über Im Zentrum hinaus. Wurde die an zahlreichen Stellen völlig zurecht kritisierte Propagandadoku „Am Anfang war das Licht“ im Hauptabend mit anschließender Diskussion gezeigt, also mit dem besten Sendeplatz und viel Werbung „gewürdigt“, muss sich die Doku über den haarsträubenden Tierschützer Prozess nach im Zentrum mit einem Nachtprogrammplatz und keiner Diskussion sowie kaum Werbung zufrieden geben, wurde also wie so viele vernünftige Programmpunkte im ORF an die Peripherie verdrängt.

Warum also zählt für diesen öffentlich rechtlichen Rundfunk nur noch die Quote, warum müssen Informationssendungen zu armseligen Schreiduellen und einer programmierten „One Man Show“ verkommen? Warum werden Diskussionssendungen die sich einem ernsthafteren Diskurs – zumindest im ursprünglichen Selbstanspruch – verschrieben haben, Sendungen wie der Club 2 also, so lange in die Nacht zurückverschoben werden, bis sie wegen zu geringer Quoten eingestellt und durch einen Societytalk mit Barbara Stöckel ersetzt werden können? Warum glaubt man im ORF dass sich öffentlicher Rundfunk dadurch auszeichnet, auch noch jede noch so obskure Meinung – man denke an die Lichtesser – überproportional in der Diskussion repräsentieren zu müssen? Warum wird bei jeder möglichen Sendung jede mögliche Eigenartigkeit in der Sendung repräsentiert, es aber nicht zu Stande gebracht auch nur annähernd ausgeglichen Frauen zu Wort kommen zu lassen? Warum werden MigrantInnen so gut wie nie eingeladen?

Im Zentrum darf keine Bühne für Stronach sein. Im Zentrum muss nicht jeder OTS Aussendung des Team Stronach eine eigene Sendung widmen. Stattdessen hätte heute über wirklich relevante Themen, die sonst unterrepräsentiert sind, wie z.B. über die Aufstände in der Türkei diskutiert werden können.
Im Zentrum soll nicht der Quote zuliebe einladen, sondern inhaltlich gehaltvollen Diskurs fördern. Ich bitte daher den ORF aus diesem epicfail der heutigen Sendung zu lernen. Hören Sie auf ständig nur so einzuladen dass jede vernünftige Diskussion in hysterischen Schreiduellen untergeht und BITTE erklären Sie, wie es dazu kommen konnte ein derart homogen, ja annähernd dirigiertes Publikum in einer der wichtigsten Diskussionssendungen des Landes sitzen zu haben. Es wäre an der Zeit mit diesen Fragen offen und transparent umzugehen und sich nicht einfach zu freuen, dass eine derart katastrophale Sendung wie heute eine gute Quote brachte.

Update:
Der ORF weißt in diesem Standard Artikel darauf hin, dass keine Möglichkeit bestand, das Publikum durch einen Stronach Fanclub zu ersetzen. Wie jedoch im Großteil meines Blogposts dargestellt, ist das Publikum nur ein kleiner Teil des Problems dieser Sendung gewesen. Die Kritik, dass der ORF Quote über Qualität setzt muss daher mehr denn je wiederholt werden.

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Meinungsfreiheit und Postdemokratie – ein Widerspruch?

Als Teil des neuen Redaktionsteams des Supertaalk habe ich mich in letzter Zeit für unserer erste Sendung der neuen Staffel mit dem umfangreichen und ambivalenten Thema der Meinungsfreiheit beschäftigt. Wie ist es um die Meinungsfreiheit in Österreich bestellt? Wie wird (nicht nur in Österreich) Meinungsfreiheit juridisch und informell – durch sozialen Druck, durch finanzielle Anreize (siehe Inserate) und nicht zuletzt durch (Klags-)Drohungen – eingeschränkt? Gibt es so etwas wie legitime gesetzliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit – man denke hier an den Blasphemie Paragraphen, das Verbotsgesetz, „hate speech“, usw.? Müssen rassistische und andere Aussagen die „Minderheiten“ angreifen unter Berufung auf die Meinungsfreiheit toleriert werden? (Warum der Paragraph der Meinungsfreiheit solche Übergriffe jedoch nicht deckt, wird hier erklärt) Wo hört eine Meinung auf Meinung zu sein, wo beginnt eine Meinung Verbrechen zu sein, wie ein bekannter antirassistischer Spruch nahelegt? Alle diese Fragen werden eine Rolle im Supertaalk spielen. Ich möchte mich hier in diesem Eintrag jedoch noch einem anderen Aspekt zuwenden, einem etwas theoretischeren Apsekt.

Die Frage nach Repressionen gegen Meinungsäußerungen ist wichtig, aber doch gibt es die grundlegenderen Fragen: was ist überhaupt eine Meinung? wer darf überhaupt so etwas wie eine Meinung haben? Wenn wir die sogenannten westlichen Staaten als „Postdemokratien“ (nähere Begriffsklärung siehe meine Postdemokratie-Reihe) verstehen, so sind diese Fragen nicht so leicht zu beantworten. Postdemokratische Regime, die sich selbst zumeist als „lupenreine“ Demokratien – was auch immer das heißen mag – sehen, stellen sich selbst als Regime der „Allsagbarkeit“ dar. Jede/r darf alles sagen, das „muss eine Demokratie aushalten können“. Der Ruf nach „Redefreiheit“ rennt offene Türen der Postdemokratien ein, denn liberales „Erlauben“ von anderen Meinungen bewiest die eigene demokratische Einstellung. Doch was gilt überhaupt als Meinung in Gesellschaften, die ihre eigene Vielfalt, ihre Mannigfaltigkeit und Pluralität allzugern statistisch aufgefächert in Tortengraphiken darstellen. Die herrschende Vorstellung dass Meinungsverschiedenheiten durch Multiple-Choice-Umfragen wiedergegeben werden können, verweist auf ein sehr eingeschränktes Verständnis von Meinung. Jacques Rancière spricht in diesem Zusammenhang von „Ordnungen des Sichtbaren und Sagbaren“. Postdemokratische Regime simulieren eine annähernde Allsagbarkeit, simulieren Meinungsverschiedenheiten, jedoch nur solche die innerhalb der Ordnungen des Sagbaren – die sehr wohl vorstrukturiert sind – stattfinden können. Als Meinung gilt also nur das, was auch in einer MEINUNGS-Umfrage abgefragt werden kann, das was nicht in das binäre Schemata von „Stimme vollständig zu – stimme gar nicht zu“ passt, wird als „weiß ich nicht“ marginalisiert. Der eigentliche politische Streit, der Streit um die Bedingungen des Streits wird verdrängt, das „Unvernehmen“, wie es Rancière nennt weicht dem allgemeinen Konsens, dass alle Meinungen statistisch erfasst werden können. In diesem Regime sind Meinungen jedoch keinesfalls eine Gefährdung für das Regime, denn alle Meinungen haben ihren Platz, können auf der postdemokratischen politischen Skala verortet werden. Das Regime der vermeintlichen Allsagbarkeit, die Ordnungen des Sagbaren müssen also unterwandert werden.

Ähnlich dieser Struktur der Meinungsverortung ist auch reguliert, wer überhaupt berechtigt ist eine Meinung zu haben. Die, die Rancière die „Anteillosen“ nennt, die die keinen Anteil an der Verteilung in der Gesellschaft haben, die dürfen auch keine Meinung haben. Sie befinden sich außerhalb der Ordnungen des Sichtbaren, werden trotz Bekenntnissen zur Transparenz übersehen. Die Anteillosen sind nicht repräsentiert, weder auf politischer Ebene noch in den so wichtigen Institutionen der „Meinungsumfragen“. Die, die nicht gefragt werden, die die nicht in diese Statistik einordnebar sind, spielen auch für die institutionalisierte Politik keine Rolle. Wir können gerade in Österreich und auch in der ganzen EU beobachten, wie AsylwerberInnen – jene die in unseren Gesellschaften marginalisiert sind, keinen Anteil am politischen, ökonomischen und vor allem sozialen Leben haben dürfen – ihre Stimme erheben. Mit Camps auf öffentlichen Plätzen die Ordnungen des Sichtbaren stören. Allzugern hätte man sie in den eigens errichteten Lagern (oder verstreut auf ländliche Regienen), aus dem Sichtfeld gedrängt, unsichtbar gemacht. Doch sie stören auch die Ordnungen des Sagbaren, schließlich ergreifen sie das Wort, versuchen auf ihre furchtbare Situation aufmerksam zu machen. Diese Reden der Anteillosen sind nicht in das Regime der „Meinungsumfragen“ einzuordnen, schließlich stellt diese marginalisierte Gruppe doch keine „statistisch relevante Größe“ dar.

Bevor es also um die wichtigen Fragen von Einschränkungen und Repressionen gegen Meinungsfreiheit (hier in Österreich) gehen kann, muss uns bewusst sein, dass Meinungsfreiheit, obwohl ein Menschenrecht, dass nicht nur StaatsbürgerInnen sondern eben allen zuerkannt werden sollte, von vielen nicht in Anspruch genommen werden kann, denn sie dürfen keine Meinung haben, werden nicht gehört und nicht gesehen und nicht gehört. Gilles Deleuze sagte in Bezug zu den „Menschenrechten“, dass diese vollkommen leer sind, und es nichts über den tatsächlichen Umgang mit Menschen aussagt, ob ein Staat diese Rechte ratifiziert hat oder nicht. Vielleicht sollte der Akt des Wort-Ergreifens nicht einfach ’nur‘ auf ein Menschenrecht reduziert werden, vielleicht spielt das Anrufen der Redefreiheit als allgemein gültiges und damit auch „leeres“ Recht mit im postdemokratischen Spiel der Reduzierung von Sprech- und Handlungsakten auf Zahlen und Statistiken. Vielleicht braucht es eher ein Recht, ja vielleicht sogar eine Pflicht zum Unvernehmen, anstatt zur verortbaren und berechenbaren Meinung.

Die Rechte retten weder die Menschen noch eine Philosophie, die sich am demokratischen Staat reterritorialisiert. Die Menschenrechte werden uns nicht dazu bringen, ein Loblied auf den Kapitalismus anzustimmen. Und es bedarf schon einiger Unschuld oder Gerissenheit, wenn eine Philosophie der Kommunikation durch Bildung einer als „Konsens“ verstandenen universellen Meinung, die in der Lage sei, Nationen, Staaten und den Markt auf moralische Prinzipien zu gründen, die Gesellschaft der Freunde oder sogar der Weisen wiederherstellen will. Die Menschenrechte sagen nichts über die immanenten Existenzweisen des mit Rechten ausgestatteten Menschen. (Deleuze/Guattari: „Was ist Philosophie?“ )

Der Supertaalk zum Thema „Meinungsfreiheit – Menschrecht zwischen Aktivismus, Kontrolle und Machtmissbrauch“ findet heute um 20:00 Uhr in der Adria Wien und am Livestream auf supertaalk.at statt.

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So verspielt man Glaubwürdigkeit. Nicht ganz emotionslose Bemerkungen zu einem Lingens Kommentar

In seinem im Profil publizierten Kommentar „So verspielt man Zukunft“ vom 3.11.2012 kritisiert Peter Michael Lingens die mangelnde finanzielle Unterstützung der Montanuniversität Leoben. Als „steuerzahlender Bürger“ ist diese chronische Unterfinanzierung der Montanuni für Lingens inakzeptabel, es ist ein Skandal. So weit so gut. Lingens scheint jedoch nicht gewillt zu sein diese Unterfinanzierung in einem breiteren Kontext zu sehen, nämlich der jahrzehntelangen chronischen Unterfinanzierung der Universitäten sowie dem mangelnden politischen Willen an dieser fatalen Situation etwas zu ändern. Vielmehr konzentriert er sich in diesem Kommentar darauf, verschiedene Studienrichtungen gegeneinander auszuspielen und bedient sich dabei auch noch sexistischer Klischees.

In seiner Argumentation, warum die Montanuniversität so unendlich wichtig für die österreichische Wirtschaft ist steigert sich Lingens zusehends in eine schwarz-weiß-Malerei der Studienlandschaft. Einzig und alleine die technischen Studien fördern Wirtschaft und stärken die Innovationskraft Österreichs, einzig und allein die technischen Studien können „unser aller Wohlstand erhalten“. Kritische Studien, Studien also die tendenziell den Geistes- und Sozialwissenschaften angehören, sind für Lingens – so lässt es der Kommentar vermuten – unbedeutend, schließlich zielen diese nicht primär auf die Erhaltung des Wohlstandes ab. So lässt sich Lingens zu der erschreckend lächerlich und gleichzeitig kurzsichtigen Schlussfolgerung verleiten:

Ich glaube, dass der studierte Altphilologe [Töchterle] hier leider eine schmerzliche Priorität setzen muss: Österreich erleidet kaum wirtschaftlichen Schaden, wenn es nur noch die Hälfte der aktuellen Publizisten, Juristen, Politologen oder Soziologen heranbildet – aber es wird mindestens doppelt so viele Absolventen technischer Universitäten und Fachschulen brauchen, wenn unser aller Wohlstand erhalten bleiben soll.

Als ob diese Aussage, dieses polemisch-billige gegenseitige Ausspielen verschiedener Studien, dieses Abreden der Bedeutung nicht-technischer Studien nicht schon an Lächerlichkeit genug wäre, vermutet Lingens hinter der mangelnden Finanzierung der Montanuni (abermals ignorierend, dass alle Unis unterfinanziert sind, nicht nur technische) eine grundlegende Technikfeindlichkeit der österreichischen Gesellschaft. Über diese These kann man geteilter Meinung sein, die sexistische Wendung die sein Kommentar in diesem Zusammenhang jedoch nimmt ist widerlich untergriffig und völlig falsch.

Kurz gesagt Lingens scheint den Frauen die Schuld an der Technikfeindlichkeit in Österreich zu geben. Frauen scheinen in seinem veralteten Weltbild grundsätzlich der Technik fernzustehen. Ganz alte sexistische Dualismen bemühend verortet Lingens Technik als männliche Domäne, wohingegen den Frauen der Raum der Familie, der Erziehung und der Sinnlichkeit (Kunst) zugeschrieben wird. Denn, so Lingens haarsträubende Überlegungen, müsste es doch jedem Mann grundsätzlich einleuchten, dass technische Universitäten mehr Förderungen erhalten sollten, bei den Frauen liege jedoch ein grundsätzliches Unverständnis für Technik vor. Frauen müsse man(n)  nämlich erst „erklären“ warum technische Studien wichtig sein. Lingens macht es vor, denn seine Frau – der Technik anscheinend völlig fremd, schließlich betont er dass sie Pianistin und Juristin ist, also, so seine sexistische Schlussfolgerung, „mit Technik nichts am Hut hat“ – hat sein männliches Plädoyer für Technik sofort akzeptiert. Lingens – der Mann der sein ganzes Leben im Journalismus gearbeitet hat, aber trotzdem was „mit Technik am Hut zu haben scheint“ –  hat ihr also erklärt warum Technik wichtig ist – in seinen Augen kann sie das alleine anscheinend nicht einsehen …

Bei meiner Frau, einer Juristin und Pianistin, die mit Technik wenig am Hut hat, hat es keine Minute gebraucht, um sie zu überzeugen, dass Hochschulen wie Leoben entscheidend für Österreichs wirtschaftliche Zukunft sind. Bei der Regierung scheint diese Erkenntnis bis heute nicht angekommen.

Bei anderen Frauen hat diese seine Überzeugungskraft anscheinend nicht so schnell gewirkt. So beschwert er sich über ihm bekannte Lehrerinnen, die nicht und nicht seine voller blindem Optimismus strotzenden Ergüsse über den technischen Fortschritt – die einzige Lösung „die Umwelt grün [zu] erhalten“ – akzeptieren möchten. Überhaupt scheint Lingens dem weiblichen Lehrpersonal eine grundlegende Inkompetenz in technischen Fragen zu unterstellen. Oder wie ist es sonst zu verstehen, dass Lingens im ganzen Kommentar nur einmal gendergerechte Sprache verwendet, und dies zufällig genau an der Stelle an der er von technikfeindlichen „LehrerInnen“ schreibt. Diese fadenscheinige Verwendung der gendergerechten Sprache soll in diesem Fall lediglich indirekt darauf hinweisen, dass es vor allem Lehrerinnen sind, die den SchülerInnen (in Lingens Welt wohl wahrscheinlich vor allem den Schülern) jegliche technische Neugier austreiben.

Das Defizit entsteht in der Schule, wo die Kompetenz in den naturwissenschaftlichen Fächern zunehmend der Lesefähigkeit entspricht. Das hängt nicht zuletzt mit den vielen LehrerInnen zusammen, die der Technik etwa so nahestehen wie ich der Esoterik. Von drei Lehrerinnen in meiner Verwandtschaft sind gleich zwei von intensiver Technikfeindlichkeit: Ich versuche seit Jahren vergeblich, ihnen näherzubringen, dass überhaupt nur überlegene Technik die Umwelt grün erhalten oder alternative Energien befördern kann.

Dieser völlig entbehrliche Kommentar bewegt sich zwischen blinder Technikgläubigkeit, Maskulinismus und irrationalem Hass auf Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen. So bleibt lediglich die Überzeugung über, dass – um frei nach Lingens zu schreiben –  kritischer Printjournalismus keinen Schaden nimmt wenn nur die Hälfte dieser machistischen Kommentare publiziert wird. Ein solch sexistischer Kommentar erscheint mir nicht einmal dem stetig heruntergewirtschafteten Profil gerecht zu werden.

Link zum Kommentar: http://www.profil.at/articles/1244/575/345651/peter-michael-lingens-so-zukunft

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Politik, Polizei, Postdemokratie – Jacques Rancière

Dieser Blogpost wurde aktualisiert, ausgebaut und überarbeitet auf meinem neuen Blog dieBresche.org veröffentlicht und in eine weitaus umfangreichere Serie „Vom Sinn und Unisnn des Wahlspektakels im Zeitalter der Postdemokratie integriert.

In seinem Buch „Der Hass der Demokratie“ erläutert Rancière die Probleme der heutigen Staatssysteme, denn das

„was wir heute Demokratie nennen, sind Staats- und Regierungspraktiken, die genau umgekehrt funktionieren: gewählte Vertreter, die unendlich im Amt bleiben, dabei kommunale, regionale, legislative oder ministerielle Funktionen ansammeln oder abwechselnd ausüben, und die mit der Bevölkerung im Wesentlichen über die Repräsentation der lokalen Interessen verbunden sind; Regierungen, die selbst Gesetze machen; Volksvertreter, deren große Mehrheit an einer Schule für Administratoren ausgebildet wird; Minister oder Mitarbeiter von Ministern, die in öffentlichen oder halb-öffentlichen Unternehmen untergebracht sind; Parteien, die durch Hinterziehung öffentlicher Gelder finanziert werden; Geschäftsmänner, die Unsummen investieren, um ein politisches Mandat zu bekommen; Bosse privater Medienkonzerne, die sich dank ihrer öffentlichen Funktion Einfluss in den öffentlich rechtlichen Medien verschaffen. Kurz gesagt handelt es sich um die Aneignung der öffentlichen Sache durch eine solide Allianz von staatlicher und wirtschaftlicher Oligarchie.“ (2010b, 78).

Wer beschreibt nun also unsere politische Elite so treffend und wie sieht seine Vorstellung von Demokratie aus? Jacques Rancière wurde 1940 in Algier geboren und zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Philosophen Frankreichs. Er war Schüler von Louis Althusser und kann als Vertreter der radikaldemokratischen Theorie angesehen werden. Neben seiner politischen Theorie ist Rancière auch noch für seine ästhetischen Studien bekannt.

Rancières Vorstellung von Postdemokratie kann nicht verstanden werden, wenn man nicht auch kurz seine allgemeine Vorstellung von Demokratie erläutert. Da Rancières Theorie relativ komplex ist, werde ich versuchen seine politischen Überlegungen im Wesentlichen an wenigen Begriffen darzustellen: Politik, Demokratie, Polizei und Postdemokratie.

Politik: Für Rancière ist der Dissens, der Streithandel das Zentrum der Politik. Dies kommt daher, dass es in einer gesellschaftlichen Ordnung einige gibt, die einen Anteil an der Verteilung der Macht sowie der Güter haben (sei es auf Grund ihres Alters, ihrer ökonomischen Stellung, ihrer Bildung, etc.) und es gibt welche die eben keinen Anteil an der Verteilung haben, diese nennt Rancière die Anteillosen. Politik setzt nun für Rancière dort an, wo diese Logik, nämlich das einige Anteil haben und andere nicht, durchbrochen wird. Politik ist eine irrationale, paradoxe Handlung, die eine Unterbrechung der Verteilungslogik voraussetzt. (vgl. 2008, 11ff).

Demokratie: Für Rancière ist Politik und Demokratie annähernd gleichbedeutend, es gibt keine Politik ohne eine Demokratie. Demokratie ist für ihn eben genau das Einsetzen der Unterbrechung, das Eingreifen eines Subjekts der Politik, dem Volk, das genau der Teil ist, der bei der Zählung des Volkes nicht gezählt wird. Der Teil der Anteillosen ist nicht zählbar, ist daher eine leere Größe, die aber in der Demokratie mitgerechnet wird, daher ist die Demokratie auch notwendig Paradox. (vgl. 2008 23ff).

„Aber auch durch das Dasein dieses Anteils der Anteillosen [la part des sans-part], dieses Nichts, das Alles ist, existiert die Gemeinschaft als politische Gemeinschaft, das heißt als eine von einem grundlegenden Streit geteilte, durch einen Streit, der sich auf die Zählung seiner Teile bezieht, selbst noch bevor er sich auf ihre ‚Rechte‘ bezieht.“ (2002, 22).

So kompliziert dies bisher klingen mag, es ist eigentlich eine relativ simple Idee, die dieser Theorie zu Grunde liegt. Rancière geht davon aus, dass in einer Gemeinschaft immer Menschen leben, die nach den jeweiligen Maßstäben der Gesellschaft nicht dazugehören, aber trotzdem dabei sind. Wenn wir Platons Vorstellung der Philosophenkönige denken, so ist klar, Platon ist der Meinung dass die Klügsten der Gesellschaft diese auch regieren sollten, in anderen Gesellschaften waren die Regierenden die Ältesten der Gesellschaft oder in wieder anderen (vielleicht nicht so entfernten Gesellschaften) die Reichsten. Demokratie ist nun ganz einfach die Unterbrechung eben dieser Logik, indem sie jedem und jeder egal wie alt, reich oder klug sie sind die gleiche Stimme gibt, alle sind gleich und zwar nicht nur für eine Wahl alle paar Jahre (wo nebenbei immer noch zahlreiche Menschen die in unserer Gemeinschaft leben ausgeschlossen werden weil sie kein Wahlrecht haben) sondern alle sind sogar so weit gleich, dass jeder und jede auch regieren könnte. In der Antike wurde dies durch ein Losverfahren erzwungen, es wird nicht gewählt sondern jeder und jede sind gleichberechtigt daran beteiligt regieren zu können. Dies nennt Rancière auch den Skandal der Demokratie. (2010b, 45).

Demokratie ist also immer schon nachträglich, weil sie eine Ordnung bricht, indem sie den Anteillosen einen gleichen Teil gibt. Demokratie hat für Rancière also drei Merkmale:

„Die Formen der Demokratie sind nichts anderes als die Erscheinungsweisen dieser Dreigliederung: Es gibt Demokratie, wenn es eine spezifische Erscheinungssphäre des Volkes gibt. Es gibt Demokratie, wenn es spezifische Akteure der Politik gibt, die weder Agenten des staatlichen Dispositivs noch der Teile der Gesellschaft sind, wenn es Kollektive gibt, die die Identifikationen mit den Teilen des Staates oder der Gesellschaft verschieben. Es gibt schließlich Demokratie, wenn es einen Streit gibt, der auf der Bühne der Erscheinung des Volks von einem nicht-identitären Subjekt ausgetragen wird.“ (2002, 110).

Es muss also einen Ort geben an dem der Teil der Anteillosen, das Volk, das nicht gezählt werden kann auftreten kann, diese müssen als die Anteillosen erkannt werden und es muss einen Streit dieser Teile geben. Unter Streit oder Dissens ist hier gemeint, dass sich die Teile der Gesellschaft ihrer Nicht-Identität bewusst sind.

Polizei: Die Polizei, wieder ein Begriff der bei Rancière eine andere Bedeutung hat, als im üblichen Sprachgebrauch, ist die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Aufteilung des Sinnlichen, die die sagen „hier gibt es nichts zu sehen“, die die also den unzählbaren Teil der Anteillosen verbergen. (vgl. 2008, 33ff).

„Die Polizei ist in ihrem Wesen das im Allgemeinen unausgesprochene Gesetz, das den Anteil oder die Abwesenheit des Anteils der Teile bestimmt. […] Die Polizei ist somit zuerst eine Ordnung der Körper, die die Aufteilung unter den Weisen des Machens, den Weisen des Seins und den Weisen des Sagens bestimmt, die dafür zuständig ist, dass diese Körper durch ihre Namen diesem Platz und jener Aufgabe zugewiesen sind; sie ist eine Ordnung des Sichtbaren und des Sagbaren, die dafür zuständig ist, dass diese Tätigkeit sichtbar ist und jene andere es nicht ist, dass dieses Wort als Rede verstanden wird, und jenes andere als Lärm.“ (2002, 40f).

Die Demokratie, die Politik ist nun eben die Störung dieser Ordnung, die Störung der polizeilichen Aufteilung, da in der Demokratie eben auch die reden, die nicht reden sollten, deren Gesagtes nur als Lärm wahrnehmbar gewesen sein sollte.

„Tatsächlich gibt es zwei Arten, die Teile der Gemeinschaft zu zählen. Die erste kennt nur reale Teile, die tatsächlichen Gruppen, die von den Unterschieden der Herkunft, der Funktionen und der Plätze bestimmt werden, die den Sozialkörper konstituieren. Die zweite benennt darüber hinaus ein Aufrechnen der Unberechneten (oder einen Teil der Anteillosen), das/der die gängige Berechnung in ihrer Gesamtheit stört. Ich schlage vor, die erste Polizei, die zweite Politik zu nennen.“ (2000, 106).

Postdemokratie: Was ist nun unter der Postdemokratie zu verstehen, nachdem wir nun die zentralen Begriffe bei Rancière geklärt haben ist dies nicht weiter schwer zu verstehen. Postdemokratie ist die konsensuelle Demokratie. Jene Herrschaftsform in der die Erscheinung der Anteillosen nicht mehr möglich ist, weil der Streithandel verschwunden ist, die Bevölkerung vollkommen präsent ist und alles berechenbar ist, das Unberechenbare keinen Platz mehr hat. Wie schon im Crouch Artikel erwähnt ist hier die Meinungsforschung zentral angegriffen, den die glaubt die Bevölkerung berechnen zu können.

„Was ist in Wirklichkeit die Demokratie der Meinungsforschungen und Simulationen? Nichts anderes als Aufhebung der Erscheinungssphäre des Volkes. Die Gemeinschaft ist hier unaufhörlich sich selbst präsent, das Volk ist hier nie ungerade, unberechenbar oder unrepräsentierbar. Es ist immer gleichzeitig vollkommen anwesend und vollkommen abwesend. Es ist in Gänze in eine Struktur des Sichtbaren inbegriffen, wo man alles sieht und wo es also keinen Platz mehr für die Erscheinung gibt.“ (2010a, 139).

Konsens heißt hier also, dass jeder einen Platz zugeordnet bekommt, weil er z.B. einen bestimmten Bildungsgrad hat wählt er diese und jene Partei, und die Unberechenbarkeit, das Losverfahren nicht mehr möglich ist. Die Wahl wird jeden Tag aufs Neue, permanent simuliert. Der Konsens ist das Ende der Politik.

In diesem Sinne muss also die Unterbrechung der Dissens wieder einziehen, die Anteillosen müssen sich das Wort nehmen. Hier schließt sich der Kreis zur Einleitung wieder, denn es muss der Raum zur Erscheinung der Anteillosen, des Volks wieder eröffnet werden, es muss die polizeiliche Logik wieder unterbrochen werden, und dies kann z.B: in einer Demonstration oder Besetzung eines öffentlichen Raumes passieren, denn Rancière schreibt hierzu:

„Was geschieht wenn Ordnungskräfte ausgesandt werden, um eine Demonstration zu unterbinden? Was geschieht, ist die Anfechtung der Verwendung eines Ortes. Aus der Perspektive derer, die die Ordnungskräfte verschicken, ist die Straße ein Raum der Zirkulation von Individuen und Waren. Die Angelegenheit der Gemeinschaft wird woanders verhandelt: in den öffentlichen Gebäuden, die dafür vorgesehen sind, mit den Personen, denen diese Funktion zugedacht ist. Die Demonstranten dagegen verwandeln den Raum der Zirkulation in einen Raum, in dem die öffentlichen Dinge verhandelt werden, in den Kundgebungsraum eines Subjekts. […] Die politische Demonstration im allgemeinen macht sichtbar, was keinen Grund hat, gesehen zu werden. Sie macht als Sprache vernehmbar, was nur als Geräusch vernommen wurde. Sie beherbergt eine Welt in einer anderen. […] Die Politik ist das Werk einer besonderen Art von Subjekten, derer nämlich, die Szenen des Streithandels produzieren, in denen zwei einander entgegenstehende Welten zusammengebracht werden.“ (2000, 107).

Postdemokratie – eine kurze Einleitung?

Kapitel 1: Postdemokratie bei Colin Crouch

Literatur:

Jacques Rancière: Konsens, Dissens, Gewalt. 2000 (in Gewalt. von Mihran Dabag Hg.)

ders.: Das Unvernehmen. 2002.

ders.: Zehn Thesen zur Politik. 2008.

ders.: Politik der Wahrheit. 2010a.

ders.: Der Hass der Demokratie. 2010b.

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Colin Crouch – Postdemokratie

Dieser Blogpost wurde aktualisiert und überarbeitet auf meinem neuen Blog dieBresche.org veröffentlicht und in eine weitaus umfangreichere Serie „Vom Sinn und Unisnn des Wahlspektakels im Zeitalter der Postdemokratie integriert.

Wenn heutzutage in irgendeiner Diskussion über die aktuellen Zustände der westlichen politischen Systeme gesprochen wird, wird auch meistens gleich Colin Crouch eingeworfen, und seine Analysen der Postdemokratie. Doch was beschreibt Crouch eigentlich mit der Postdemokratie, was ist seine Vorstellung einer Demokratie und welche Gegenstrategien zur Postdemokratie schlägt Crouch vor? Diesen und ähnlichen Fragen werde ich nun im folgenden Artikel nachgehen und am besten wir beginnen gleich mit der zentralen Frage, was Postdemokratie eigentlich ist. Lassen wir Crouch antworten, und zitieren seine Definition:

„Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, dass Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.“ (Crouch, 10).

Crouch beschreibt also mit Postdemokratie im wesentlichen einen Verfall der Demokratie, in dieser Logik muss es aber einmal funktionierende demokratische Systeme gegeben haben, und die sieht Crouch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen, bis in die späten 70er evtl. Der „Augenblick der Demokratie“, wie Crouch diese Zeit leicht pathetisch verklärt, zeichnete sich durch eine keynesianische Wirtschaftspolitik aus und durch eine Aushandlung der sozialen Frage. Die ArbeitgeberInnen haben – so Crouch – in dieser Zeit auf einen Teil ihrer Macht verzichtet um den ArbeitnehmerInnen Zugeständnisse zu machen, in dieser Zeit wurde also an einer gleichen und gerechten Gesellschaft gearbeitet, die Zeit des Wohlfahrtsstaates. (vgl., 14ff).

In der Verklärung dieser Zeit – in der der „Augenblick der Demokratie“ möglich war – entwirft Crouch ein recht banales und sehr vereinfachendes Bild der westlichen Gesellschaften. Er bezeichnet die demokratische Entwicklung als Parabel, denn – die antiken Versuche einer Annäherung an die Demokratie sowie revolutionäre Transformierungen der westlichen Gesellschaften ignorierend – gab es früher einfach nur die vordemokratische Zeit, am Höhepunkt der Parabel dann den „Augenblick der Demokratie“ und nun am anderen Ende der Parabel, die Postdemokratie. Dass sich die westlichen Systeme, auch in ihren demokratischen Ausformungen, stark unterscheiden spielt für Crouchs Analyse anscheinend keine Rolle. Es sei bereits vorweggenommen, dass Rancière nicht davon ausgehen wird, dass wir bereits die ideale Demokratiephase überschritten haben, noch dass wir jemals die ideale Demokratie erreichen werden können.

Nun wird auch schon deutlich warum Crouch von der Post-Demokratie spricht, schließlich beschreibt er eine Zeit nach der Demokratie. Er vergleicht dies mit Ausdrücken wie „postindustriell“ oder auch Postmoderne, die für Crouch zumindest, ebenfalls zeitlich zu begreifen sind. Nun weiß man allerdings, dass die Postmoderne natürlich keine Zeitspanne nach der Moderne beschreibt, wie dies Crouch elaboriert (vgl. 31). Hierzu sei kurz Lyotard zitiert, der in seinem Buch „Postmoderne für Kinder“ die Postmoderne an der Kunst beschreibend folgendermaßen definiert: „Ein Werk ist nur modern, wenn es zuvor postmodern war. So gesehen bedeutet der Postmodernismus nicht das Ende des Modernismus, sondern dessen Geburt, dessen permanente Geburt.“ (Lyotard, 26). Später fasst er diesen Gedanken noch einmal prägnant in einem Satz zusammen, wenn er postuliert: „Postmodern wäre also als das Paradox der Vorzukunft (post-modo) zu denken.“ (Lyotard, 30). Dieses Verständnis ist in sofern von Bedeutung, da Rancière sich der Begriffe, die er verwendet, und ihrer Begriffsgeschichte wohl bewusst ist, und daher seine Postdemokratie tatsächlich auf Überlegungen zur Postmoderne aufbaut. Allerdings betont er, dass Postdemokratie nicht die Herrschaftsform des Zeitalters der Postmoderne sei. (vgl. Rancière, 111).

Crouch beschreibt etwas einfacheres, er will analysieren, warum eine allgemeine Passivität, eine politische Frustration eingesetzt hat, die BürgerInnen immer weniger politisch aktiv werden, nicht mehr zur Wahl gehen, etc. Crouch beschreibt also eben den Verfall der Demokratie. Ein wesentliches Element dieses Verfalls ist der gestiegene Einfluss von Lobbys und PR-Experten sowie von Korruption. Die neoliberale Wirtschaftsideologie hat die politische Logik übernommen. Statt Inhalten setzen die Parteien auf fotogene SpitzenkandidatInnen, die nur dazu da sind in populistischen Ein-Satz Statements zu sprechen, um als O-Ton in die Nachrichten zu gelangen. „Wir haben uns daran gewöhnt, dass Politiker nicht wie normale Menschen sprechen, sondern aalglatte, ausgefeilte Statements von sich geben, die einen ganz eigenen Charakter haben.“ (36). Diese mehr oder weniger „charismatischen“ KandidatInnen rücken ins Zentrum der Politik, ihr Körper (von den leidigen Sexeskapaden Berlusconis über Schröders gefärbte Haare und Grassers Badehosen) und auch ihr Privatleben sind ständiges Thema zwischen Image- und Schmutzkübelkampagnen.

Wahlkämpfe sind zu Marketingschlachten zwischen den SpitzenkandidatInnen geworden, PR-Experten versuchen das Image der KandidatInnen wie der Parteien brauchbar für Werbekampagnen zu machen, Werbung will jedoch keine Diskussionen auslösen, sondern Produkte verkaufen. Die Inhalte verschwinden zusehends aus der Politik. Der Wahlkampf wird zum Dauerzustand, zu einem permanenten Wahlkampf, ja sogar die Wahl wird permanent, indem dauernd irgendwo irgendwelche fragwürdigen Meinungsumfragen veröffentlicht werden. Diese Vorherrschaft der Meinungsforschung, nach der immer mehr die gesamte Politik ausgerichtet wird, soll bei Rancière ebenfalls noch eine zentrale Rolle spielen. Crouch beschreibt die Wandlung der Wahl folgendermaßen:

„Wahlen werden zu Wettkämpfen um ‚Markennamen’, sie geben den Menschen nicht länger die Gelegenheit, sich bei den Politikern über die Qualität öffentlicher Leistungen zu beschweren. Es mag übertrieben klingen, doch dieses Szenario stellt lediglich die Fortsetzung eines Prozesses dar, an den wir uns inzwischen so sehr gewöhnt haben, dass wir ihn nicht einmal bemerken: Die Annäherung demokratischer Wahlen – die eigentlich den Kern der staatsbürgerlichen Rechte ausmachen – an Marketingkampagnen, die relativ offen auf manipulative Techniken setzen, um Waren zu verkaufen.“ (131f).

Crouch kritisiert vor allem, dass ein Begriff aus der Politik verschwunden ist, der für ihn sehr zentral ist, nämlich der Klassenbegriff. Heutzutage wird immer weniger vom Klassengegensatz gesprochen (der im „Augenblick der Demokratie“ bereits fast ausgesöhnt war, für Crouch zumindest) wo doch dieser Gegensatz immer größer wird. „Doch wenn man den Begriff der Klasse ernstnimmt, so bezeichnet er Zusammenhänge zwischen ökonomischen Positionen und dem Ausmaß an Zugang zu politischer Macht, über den die entsprechenden Gruppen verfügen. Und diese Zusammenhänge werden alles andere als schwächer. Ihr Erstarken ist eines der ernsteren Symptome für den Anbruch des postdemokratischen Zeitalters, da der Aufstieg der Wirtschaftseliten mit einem Schwinden der kreativen Dynamik der Demokratie einhergeht.“ (70). So wichtig es ist den Klassenbegriff nicht einfach vom Tisch zu wischen, so befremdlich sind doch Crouchs Aussagen bezüglich anderer gesellschaftlicher Gegensätze, wie z.B. sexueller Orientierung, denn hier kritisiert er, dass die Labour-Partei sich immer mehr für solche Themen eingesetzt hat, und dabei den Klassengegensatz vergessen hat. (vgl. 74). Es scheint mir nicht angebracht verschiedene gesellschaftliche Widersprüche sowie die Unterdrückung von Minderheiten, gegeneinander aufzuwiegen, schließlich muss eine politische Partei doch mehrere Probleme zu lösen versuchen, die Zeiten des Hauptwiderspruches scheinen doch vorbei zu sein.

Der Einfluss der Wirtschaft ist gestiegen, der Begriff der Klasse verschwunden und auch die Parteien haben sich in inhaltsleere Lobbys transformiert, so zeichnet Crouch die Postdemokratie vor. Berlusconis Partei stellt hier den Prototyp einer postdemokratischen Partei dar, schließlich ist sie lediglich um ihren Anführer organisiert und ununterscheidbar zwischen Partei und wirtschaftlichen Unternehmen aufgebaut.

Doch Crouch will nicht nur die Postdemokratie analysieren, im letzten Kapitel entwirft er auch noch drei Gegenstrategien, die zu einer Redemokratisierung führen sollten. Erstens muss der Einfluss der Wirtschaft eingeschränkt werden, zweitens braucht es Reformen der politischen Praxis und drittens mehr Handlungsmöglichkeiten für engagierte BürgerInnen.

Crouch spricht sich also für eine Reformierung des Kapitalismus aus, eine Entschärfung, eine Rückkehr zum keynesianischen Modell, er hinterfragt aber keinesfalls den Kapitalismus selbst. zu dieser Frage schreibt er:

„Die wachsende politische Macht der Unternehmen bleibt die treibende Kraft hinter dem Vormarsch der Postdemokratie. Für frühere Generationen radikaler politischer Denker wäre diese Aussage Anlass gewesen, die Abschaffung des Kapitalismus zu fordern. Diese Option steht heute nicht länger offen. Während die Begeisterung für kapitalistische Methoden in den letzten Jahren exzessive Ausmaße angenommen hat […], gibt es im Hinblick auf die meisten Waren und Dienstleistungen bis heute keine Alternative, die auf vergleichbar effektive Weise innovative Produkte und Verfahren hervorbringt und sicherstellt, dass die Unternehmen auf die Wünsche der Kunden reagieren.“ (133f).

Dass der Kapitalismus so weit reformiert werden könnte, dass er eine gerechte Verteilung und damit eine gerechte Gesellschaft hervorbringen könnte, darf aber stark bezweifelt werden, und es ist viel mehr zu Fragen ob es nicht die dem Kapitalismus innewohnende Logik ist, die nicht nur ungerechte Verhältnisse schafft und befördert sondern auch kaum verändert werden kann wenn man am Kapitalismus selbst festzuhalten versucht. Doch Crouch ist davon überzeugt, und immerhin gibt es immer mehr PolitikerInnen, selbst aus dem konservativen Sektor, die sich für Beschränkungen des Kapitalismus aussprechen, ob jedoch solche Reformen, wie die Finanztransaktionssteuer nur leere Versprechungen in der Krise sind wird die Zeit zeigen, den Wert dieser Reformen für eine gerechtere Welt ebenfalls.

Die anderen beiden Methoden gegen die Postdemokratie kann man auch unter die Begriffe der Direktdemokratie und des Aufstehens der Zivilgesellschaft fassen. Doch Crouch verzichtet auch hier nicht auf Kritik an den NGOs, die irgendwie gut sind, aber doch eigentlich auch nur Lobbys für bestimmte Interessen.

Schließlich „haben wir jedoch gesehen, dass gerade von der Aufsplitterung der politischen Landschaft in eine Vielzahl von NGOs, Bürgerinitiativen und Lobbys die Reichen und Mächtigen systematisch in einem Ausmaß profitieren, das in einer Zeit, in der Politik noch von Parteien dominiert wurde, die relativ klar abgegrenzte Wählergruppen repräsentierten, undenkbar gewesen wäre. Die Parteien abzuschreiben und ganz auf unabhängige Organisationen zu setzen, würde aus dieser Perspektive darauf hinauslaufen, sich an der postdemokratischen Verschwörung zu beteiligen.“ (141).

Ich halte es für gefährlich NGOs mit Lobbys aller Art gleichzusetzen, schließlich arbeiten die einen für die Interessen von Firmen und die anderen versuchen zumindest für ein Gemeinwohl einzutreten, doch der wirkliche Unterschied, den Crouch lieber nicht erwähnt, ist der, dass NGOs in der Regel auch NPOs sind, also nicht profitorientiert, etwas dass man von Wirtschaftslobbys im wesentlichen nicht behaupten kann. Crouch unterscheidet zwischen den NGOs und politischen Gruppierungen dann noch zwischen guten und bösen, mit einer Rhetorik, die uns zumindest in Österreich doch recht vertraut vorkommt:

„An dieser Stelle ist durchaus Vorsicht geboten: Zu den Gruppen, die auf sich aufmerksam machen möchten, gehören gegenwärtig neben den feministischen und ökologischen Bewegungen auch gewaltätige Kampagnen für den Tierschutz, extreme Fraktionen der antikapitalistischen Globalisierungsgegner, rassistische Organisationen und verschiedene private Initiativen zur Kriminalitätsbekämpfung, deren Positionen nicht weit von Lynchjustiz entfernt sind.“ (149)

Da nun geklärt wurde welche politischen AktivistInnen wir unterstützen dürfen und welche nicht, sei noch beschrieben, wie sich diese Bewegungen Zugang zur politischen Agenda verschaffen können, indem sie nämlich nicht allzu extreme Positionen beziehen, um gesellschaftlich mehrheitsfähig zu bleiben, und durch „Sprecher“ [sic] klare Forderungen formulieren, damit die politische Elite darauf auch angemessen reagieren kann. (vgl. 148).  Gerade zu Zeiten von #unibrennt und #occupywallstreet scheinen solche Vorstellungen von neuen politischen Bewegungen veraltet zu sein. Zuletzt fasst Crouch seine Methoden gegen die Postdemokratie noch einmal zusammen wenn er schreibt:

„Erstens: Wir müssen aufmerksam die Möglichkeiten neuer sozialer Bewegungen beobachten; […] Zweitens: Wir sollten uns klarmachen, dass wir den Einfluss der Lobbys etablierter und neuer Initiativen und Bewegungen nutzen sollten, da postdemokratische Politik nun einmal über Lobbys funktioniert. […] Und drittens: Wir müssen – kritisch und keinesfalls bedingungslos – weiterhin auf die Parteien setzen, da keine ihrer postdemokratischen Alternativen ein vergleichbar großes Potential bietet, das Ziel der politischen und sozialen Gleichheit durchzusetzen.“ (155f).

Crouch entwickelt in diesem Buch eine simple, teilweise banale, und doch stellenweise überzeugende Analyse der modernen westlichen Systeme. Viele der angesprochenen Merkmale der Postdemokratie können eben heutzutage in der Politik und der Gesellschaft beobachtet werden. Doch die Vorstellung dass die Systeme der 60er und 70er die „Augenblicke der Demokratie“ waren, denen wir nun in Nostalgie nachtrauern können, sind doch leicht verstörend. Crouchs krampfhaftes Festhalten an den alten Parteiapparaten, dem Kapitalismus, etc. mag zwar politisch realistisch und gemeinhin „vernünftig“ sein, verhindert aber tatsächliche Überlegungen zu einer Veränderung der Gesellschaft anzustellen. Crouch hält hier im wesentlichen ein Plädoyer für keynesianische Sozialdemokratie, und da könnte man Schlimmeres vorschlagen, durchaus aber auch progressivere Positionen beziehen. Gerade angesichts der neuen sozialen Bewegungen scheint dieses Buch veraltet zu sein, insofern es diese neuen Formen der politischen Organisierung, diese Multituden, gar nicht denken kann. Dieser blinde Fleck mag vielleicht auch daran liegen, dass Crouch, ganz in konservativer Manier, die neuen Medien völlig ignoriert. So treffend und interessant die Analyse der postdemokratischen Gesellschaft stellenweise ist, so befremdlich scheinen die allgemeinen politischen Vorstellungen Crouchs zu sein, denn Systeme der 60er als die Idealform der Demokratie zu bezeichnen zeigt doch ein Fehlen jeder demokratietheoretischen Vorbildung. Eine Theorie der Postdemokratie ohne eine Theorie der Demokratie scheint paradox zu sein, daher wenden wir uns in einem nächsten Kapitel nun der Theorie von Jacques Rancière zu.

Postdemokratie – eine kurze Einleitung?

Kapitel 2: Politik, Polizei, Postdemokratie – Jacques Rancière

Literatur:

Colin Crouch: Postdemokratie. 2008.

Jean-Francois Lyotard: Postmoderne für Kinder. 1987.

Jacques Rancière: Das Unvernehmen. 2002.

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Postdemokratie – eine kurze Einleitung?

Dieser Blogpost wurde aktualisiert und überarbeitet auf meinem neuen Blog dieBresche.org veröffentlicht und in eine größere Serie über „Vom Sinn und Unisnn des Wahlspektakels im Zeitalter der Postdemokratie integriert.

Heute, dem 15. Oktober, wird im Zuge der #occupywallstreet Bewegung sowie der Bewegungen für „Echte Demokratie“ ein weltweiter Aktionstag stattfinden, wo gegen die Vorherrschaft der Banken, des Finanzkapitalismus, sowie für eine echtere Demokratie demonstriert werden soll. Eine Bewegung also für eine demokratischere Demokratie. Weltweit ist ein unglaubliches Unbehagen zu sehen, dass sich in Streiks, Besetzungen und Massendemos ausdrückt. Während sich Teile der arabischen Welt seit dem so genanntenFrühling durch faszinierende Massenproteste die Möglichkeit einer demokratischen Revolution erkämpft haben, scheinen die westlichen Systeme, die eigentlich schon so etwas wie Demokratien sind, immer mehr von einem demokratischen Verfall geprägt zu sein. Der Einfluss der Wirtschaftslobbys stieg massiv an, der Neoliberalismus wurde von der wirtschaftlichen Wahnidee zu einer politischen Doktrin, einem Paradigma innerhalb der ewig gleichen politischen Eliten, und ebendiese Eliten scheinen zwischen Stagnation (im evtl. besseren Fall) und Korruption unentschieden zu sein. Nicht nur in Österreich wird versucht durch Initiativen (Demokratiebegehren, etc.) und durch Kampagnen für direkte Demokratie, die Demokratie vor diesem Verfall zu bewahren. Die Teile der Bevölkerung die nicht in passive Stagnation oder in die „schweigende Mehrheit“ wie Baudrillard dies nennen würde, verfallen, also zu NichtwählerInnen werden, wählen in immer größerem Ausmaß PopulistInnen oder Spaßparteien, etwas was oft und doch nicht automatisch zusammenfällt, schließlich verbreiten die weit rechts angesiedelten PopulistInnen kaum Spaß.

Zwischen Talkshows und Universitätsrunden werden diese Phänomene allzu gern und durchaus berechtigt mit einem Begriff bezeichnet, der in den letzten Jahren zu einem Allgemeinplatz geworden ist. Kaum eine Diskussion über aktuelle Politik ohne den Begriff der Postdemokratie in den Raum zu werfen, und dann nicken alle zustimmend, schließlich bezeichnet der Begriff doch alles was man sagen will, alles was man kritisiert. Soviel dieser Begriff gemeinhin verwendet wird, so wenig scheinen viele Leute über diesen Begriff und die Konzepte rund um diesen Begriff zu wissen, daher soll nun im Folgenden ein wenig auf diesen Begriff eingegangen werden. Auch im akademischen Diskurs bezeichnet Postdemokratie nämlich kein einheitliches Konzept, vielmehr verbergen sich hinter diesem Begriff zwei verschiedene Theorien, die ähnliche Ansätze haben, ähnliche Phänomene beschreiben und doch äußerst unterschiedlich zu sein scheinen. Im Folgenden werde ich zwei Kapitel anfügen, die sich mit dem Begriff der Postdemokratie bei Colin Crouch und bei Jacques Rancière auseinandersetzen.

Wird das Wort Postdemokratie eingeworfen, so berufen sich die Einwerfenden zumeist auf Colin Crouch, ein Politikwissenschaftler, dessen gleichnamiges Buch sich großer Beliebtheit erfreut. Doch Postdemokratie wird Crouch fälschlicherweise zugeschrieben, denn dieser Begriff tauchte bei Rancière schon gute 10 Jahre vor der Erstveröffentlichung von Crouchs Buch (2003 auf italenisch) auf. Auch wenn Crouch selbst der Meinung ist, diesen Begriff erfunden zu haben (Crouch, S. 10) – und ich hier Crouch keinesfalls unterstellen möchte den Begriff geklaut zu haben, sondern einfach ebenfalls kreiert zu haben (so schwierig ist diese Begriffsschöpfung ja nicht) – halte ich es doch für zentral, klar zu stellen, dass Rancière diesen Begriff bereits viel früher verwendete (man könnte ja auch recherchieren bevor man ein Buch veröffentlicht, um eben nicht missverständlicherweise gleiche Begriffe anders zu verwenden). Crouch zitiert Rancière jedenfalls genausowenig wie andere PhilosophInnen von denen seine Theorie zumindest indirekt beeinflusst wurde.

Ranciére verwendete den Begriff bereits bei einer Vortragsreihe die er gemeinsam mit Alain Badiou in Ljubljana in den Jahren 1992 – 93 hielt, und die 1996 erstmals auf Deutsch veröffentlicht wurde (Ranciére 2010). Er entwickelte sein Konzept der Postdemokratie jedoch noch weiter in seinem sehr bekannten Buch „Das Unvernehmen“ welches 1995 auf Französisch erschien (Rancière 2002). Rancière beschrieb das Phänomen der Postdemokratie also schon viele Jahre vor Crouch, wenn auch auf Grund der komplexeren Theorie und nicht unbedingt zugänglichen Philosophie Rancières diese Theorien nur in Fachkreisen diskutiert wurden. Es soll im zweiten Kapitel allerdings versucht werden kurz und möglichst zugänglich Rancière Vorstellungen von Politik, Polizei und Postdemokratie darzustellen.

Während immer mehr selbsternannte „Empörte“ und „Wut-sowie MutbürgerInnen“ durch die Straßen ziehen, den Verfall der Demokratie zu einer Postdemokratie beklagen, scheinen doch sehr konfuse Vorstellungen davon zu herrschen was überhaupt der Grundgedanke eines demokratischen Systems ist, was Demokratie ausmacht, und was daher Verfallen ist. Die mangelnde Auseinandersetzung mit Demokratietheorie und das momentane Theorievakuum in der linken Szene führen zu den verschiedensten Reaktionen. Die einen lehnen Demokratie ab, ohne sich näher damit auseinandergesetzt zu haben und halten fälschlicherweise eine liberale Demokratie der westlichen Welt für diesselbe Demokratie von der auch DemokratietheoretikerInnen sprechen, die anderen verlangen zwar „echte Demokratie“ ohne jedoch konkretere Vorstellungen zu haben. In diesem Sinne sollen die beiden Kapitel zumindest dahingehend helfen, den Begriff der Postdemokratie etwas klarer werden zu lassen.

Außerdem dient dieses Blogprojekt dazu, diesen Begriff auch für das #sbsmCamp das kommende Woche in Wien stattfinden wird (19. – 20. Oktober) abzuklären, denn auch dort wird teilweise über diesen Begriff diskutiert werden. Hier nähere Infos zu dieser empfehlenswerten Veranstaltung.

Bevor wir nun alle auf die Straßen gehen sei noch auf diese äußerst gelungene Rede Zizeks verwiesen, die er vor wenigen Tagen bei #occupywallstreet gehalten hat, und die in vielen Punkten sehr wichtig und richtig ist. In diesem Sinne – seien wir die rote Tinte von der Zizek spricht!

Kapitel 1: Postdemokratie bei Colin Crouch

Kapitel 2: Politik, Polizei, Postdemokratie – Jacques Rancière

Literatur:

Colin Crouch: Postdemokratie. 2008

Jacques Rancière: Das Unvernehmen. 2002

Rancière / Badiou: Politik der Wahrheit. 2010

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Zwei Hochzeiten und ein Todesfall oder wie langsam versucht wird die Monarchie zurückzubeten

Wenn mehr oder weniger bekannte JournalistInnen Blogs als Medium für sich entdeckt haben ist dies oft genug eine Zumutung. Da kann z.B. der Profil-Chefredakteur eigenartigste Fragwürdigkeiten rund um die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Strauss-Kahn veröffentlichen, einen Text schreiben ( „Freiheit für den Mann“), der neben der erschreckend niedrigen stilistischen Qualität, so viele problematische Stellen enthält, dass er hier gar nicht weiter diskutiert werden muss, da er sich ohnehin von selbst diskreditiert.

Ein anderer, wahrscheinlich DER Journalist der Blogosphäre Österreichs – zumindest in dessen Selbstwahrnehmung -, Andreas Unterberger, der seine Texte gerne als Abo verkauft, hat nun wieder ein trauriges Paradebeispiel dieser Zunft veröffentlicht. Offen bekennt sich Unterberger in diesem mehr als eigenartigen Text, als Monarchist, stellt die wenige Demokratie die in Österreich noch existiert in Frage und ruft zur Rückkehr ins Mittelalter auf, ideologisch und politisch zumindest – die Technik um seine Tagebucheinträge zu veröffentlichen und zu Geld zu machen, sollte wahrscheinlich doch erhalten bleiben. Dass sich Unterberger ins konservativste Eck stellt sollte ja nicht weiter verwundern mit welcher Vehemenz er dies in diesem Nachruf auf Otto Habsburg tut darf aber doch erschüttern.

Nach dem mehrstündigen Themenabend zum Tod von Otto Habsburg im ORF war man ja schon an einseitige Berichterstattungen rund um die Habsburger gewöhnt, und natürlich verlangen Nachrufe ihre eigene Pietät, einen Nachruf allerdings derart zu missbrauchen, dass man hierin seinen ganzen lebenslang angestauten Sozi-Hass und den anscheinenden Hass auf die Demokratie verpackt, scheint doch äußerst verstörend zu sein. Neben den wenigen Sätzen zu Otto Habsburg und dessen Tod besteht der Großteil dieses Textes darin, die „gute alte Zeit“ zu feiern, sich die Monarchie unter den Habsburgern zurückzuwünschen, die Geschichte zu verdrehen und jede Menge sonstiges politisches Kleingeld zu wechseln. Würde man in einem Nachruf auf Habsburg- in ähnlich intensiver Weise -, statt auf die Demokratie, auf die Monarchie schimpfen, würde sich das konservative Bürgertum zu jeder Menge wutbürgerischen Anklagen der Pietäts- und Geschmacklosigkeit hinreißen lassen. Aber Unterberger darf diese Gelegenheit zur unverschämten Abrechnung mit der Politik nützen.

In den heutigen Zeiten ist es ja nicht weiter unüblich, dass Monarchisten Oberwasser wittern, schließlich wird gefühlt jedes Wochenende geheiratet und der gesamte Hochadel Europas kommt aus dem Feiertaumel gar nicht mehr heraus, da die Könige und Königinnen sowieso keine anderen Aufgaben haben als Feste zu feiern und sich dabei von Millionen ZuschauererInnen beobachten zu lassen, ist den armen Adeligen wenigstens nicht langweilig auf ihren riesigen Besitztümern, die von SteuerzahlerInnen erhalten werden. Annähernd jeder Fernsehsender und jede Zeitung entpuppen sich dann an solchen Wochenenden als Societyblätter und berichten stunden- und seitenlang über Tränen, kurze Küsse, holprige Kutschenfahrten und sonstige Tragödien aus dem Leben der Adeligen.

Unterberger geht jedoch in dieser Monarchienostalgie noch einen Schritt weiter, und versucht die Habsburger als tatsächliche vernünftige Alternative zur derzeitigen maroden demokratischen Lage zu fantasieren. Ist dabei um keinen Elbogencheck gegen den Bundespräsidenten verlegen und beschimpft auch sonst so ziemlich alle die sich für Demokratie in diesem Land einsetzen. Da ist der Satz: „Es hat auch ganz jammervolle Herrscher aus dieser Familie gegeben.“ schon der monarchiekritischste Kommentar Unterbergers, sonst lobt er den König an der Spitze für die Einheit und Identität die er diesem Land wiedergeben könnte, verachtet die „Diebesbanden“ die den Habsburgern das Eigentum und die Einreiseerlaubnis verwehrten und die unvernünftigen, die tatsächlich der Meinung sind, das demokratisch legitimierte Staatsoberhäupter eine bessere Alternative als generationsübergreifende Herrscherfamilientyranneien sind.

Dieser Kommentar Unterbergers ist ein jämmerliches Zeugnis der geschichtsverleugnenden Kurzsichtigkeit dieser selbsternannten „liberalen Bürger“, die tatsächlich „einen schritt Richtung Monarchie“ als einen vernünftigen Schritt erachten. Ein Schritt Richtung Monarchie ist allerdings allerhöchstens ein Sprung zurück, der an Lächerlichkeit und Dummheit kaum übertroffen werden könnte, und sinnbildlich für die postdemokratische Politikverdrossenheit, die sich manchmal eben auch in Demokratiehass verwandelt, steht. Unterberger stellt hier einen Vordenker in das Mittelalter zurück, ein liberaler Rückdenker also …

Für die geschichtsverfälschende Widerlichkeit dieses Textes steht dieser Satz wohl exemplarisch, der diesem Text die Krone der Jämmerlichkeit aufsetzt:

Aber vor allem habe ich tiefe Hochachtung vor jenem Mann (Otto), der nach Engelbert Dollfuß die mutigsten und ernsthaftesten Anstrengungen unternommen hat, um Österreich vor dem Zugriff der Nazis zu retten, und um einen spürbaren österreichischen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur zu organisieren.

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Liessmann und die Leberkäsephilosophie

Kaum eine Talkrunde, eine Podiumsdiskussion oder eine Feuilletonspalte, die Konrad Paul Liessmann noch nicht beehrt hat, er der Philosophie auf massenverträgliche Art wieder populärer gemacht hat, auch wenn das meiste so Publizierte dadurch eher von Oberflächlichkeit bis Belanglosigkeit denn von philosophischen Mehrwert geprägt ist. Es ist nicht leicht philosophische Problematiken, die für die meisten Leute – und dass nicht immer ungerechter Weise – einen trockenen und verstaubten Anschein haben, lebendig und gut verständlich darzustellen. Auch scheint mir jeder Ort welcher der Philosophie – und sei es auch nur diesem belanglosen oberflächlichen Feuilletonessayismus – gegeben wird, als wichtig, um die Philosophie im öffentlichen Diskurs einzubringen. Auch wenn die Hauptaufgabe der Philosophie nicht darin besteht, auf ihr zugewiesene Randspalten in Kleinformaten zu warten, sondern sich selbst Raum zu nehmen, macht es Sinn so präsent wie möglich zu sein. Allerdings kann diese Präsenz, dieser Drang Zeitungsseiten oder sonstige bedruckbare Papiere mit philosophischen Anekdoten zu füllen, dieses Bedürfnis immer und überall philosophisch angehauchte Essays zu publizieren, zu weit gehen, sie kann unangenehm penetrant werden, oder wie in dem hier zu behandelnden Fall auch unpassend und zu tiefst problematisch sein.

Da liegt in der Ostersonntagskrone eine Werbebeilage eines Leberkäseherstellers (oder ist es ein Schinken), dessen Produkt aber eben nicht Leberkäse benannt werden darf  – warum auch immer. Es ist ein aufwendig gestaltetes, zum Gestus der Produktbewerbung dieses Lebensmittels passendes, ein von der Firmengeschichte bis über reich bebilderte Rezepte gefülltes im Nespresso meets Ama Gütesiegel Stil gehaltenes ‚edles‘ Werbeheftchen. Anscheinend die Kurzfassung eines 106 seiten starken Leberkäsemagazins zum Thema „Original“. Und gleich den Beginn dieses Heftchens macht ein zweiseitiger Essay von Liessmann zu dem Thema „Am Anfang war die Kopie. über das Original und seine Aura“. Nun liest sich dieser Essay nicht unbedingt schlecht, auch der Großteil der Aussagen darin ist wenn auch nicht originell so zumindest argumentiert dargebracht, der eine oder andere Gedanke ladet sogar zum Schmunzeln ein. Was ist nun also mein Problem mit diesem Text.

Das Problem liegt nicht direkt am Text selbst, sondern an den Veröffentlichungsumständen. Hier wird eine teure Werbekampagne gefahren, die vor allem die Originalität und Unkopierbarkeit dieses Produktes betonen soll, nicht umsonst heist das ganze Werbeheftchen „Oft kopiert, nie erreicht“. Passend zu diesem Schwerpunkt der Werbekampagne wird nun DER österreichische ‚Starphilosoph‘ gebeten/bezahlt einen Essay zum Verhältnis von Original und Kopie zu schreiben. Genau hier scheint mir nun das Problem zu liegen, denn dieser Text, so logisch viele der darin vorgetragenen Gedanken auch anmuten, ist damit Teil dieser Werbekampagne. Die Leberkäsefirma wollte hier keine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage des Verhältnisses zwischen Original und Kopie bestellen und abdrucken, sondern einen im philosopschien Gestus vorgetragenen Beweis, dass das Original – also der Schinken-Leberkäse – nicht kopierbar ist, von einer einzigartigen Aura umgeben ist, die eben kein anderes Produkt am Markt erreichen kann. Liessmann konnte also, selbst wenn er zu den Thesen in diesem Text vollkommen steht keine freie Arbeit abliefern, keine philosophische Auseinandersetzung, die bestimmte Urteile tatsächlich in Frage stellen würde schreiben – auch wenn Liessmann durchaus angestrengt wenn nicht sogar krampfhaft versucht pseudo-subversive Statements einzuführen um eben doch der Aufgabenstellung auszuweichen, was jedoch völlig misslingt -, er konnte nicht mal einen Feuielltonessay verfassen, sondern eben nur einen Feuilleton ohne Feuilleton Werbetext. Er schrieb daher also einen philosophischen Beweis der Grandiosität des originalen Leberkäses. Auch wenn der Text als üblicher Feuilleton durchaus nicht weiter fragwürdig wäre, ist er notwendigerweise in diesem Kontext seiner Veröffentlichung ein Marketingbeitrag getarnt als Philosophie. Dies scheint mir eines Wissenschaftlers unwürdig, und der Philosophie sowieso.

Da schreibt Liessmann in diesem Text, dass das Original erst durch den Versuch es zu kopieren überhaupt zum Original wird – womit man natürlich überhaupt nicht an die Werbesprüche der Firma denken muss -,da schreibt er, dass Billigimitationen nur den Marktwert des Originals steigern, und dass das Original von einer geheimnisvollen Aura umgeben ist, die es als „ursprünglich“, „echt“, „einzigartig“ und „erstmalig“ auszeichnen. Worte also die bewusst zur Beschreibung des Leberkäses im gesamten Heft ebenfalls verwendet werden. Abgesehen davon, dass Liessmann Walter Benjamins Begriff der Aura völlig verkürzt darstellt, und gerade wenn es um die Reproduzierbarkeit geht auch völlig aus dem politischen Kontext bei Benjamin loslöst (hier gilt der Verweis auf das Original nämlich Benjamins Kunstwerkaufsatz), ist die gesamte Argumentation des Textes in diesem Erscheinungszusammenhang eine perfide philosophisch angehauchte Werbekampagne.

Philosophie sollte nicht als Intellektualisierung eines Werbeheftchens herangezogen werden, Philosophie darf nicht als wissenschaftliche Untermauerung der Einzigartigkeit eines Fleischproduktes verwendet werden und das sollte eigentlich auch Herr Liessmann wissen. Frei nach Benjamin kommt es eben leider nicht zu einer Philosophisierung des Marketings sondern zur Marketingisierung der Philosophie. Philosophie darf eben nicht zur Leberkäsephilosophie verkommen.

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Die ÖVP als Großwildjäger … „Elfenbeinpolitik“ und andere Beinbrüche

Jetzt ist sie im Wanken, die ÖVP, die vermeintlichen Christdemokraten befinden sich seit ihr Chef, Josef Pröll, im Krankenhaus liegt nun ebenfalls auf wackeligen Beinen. Man konnte ja vieles vermuten, aber, dass die ÖVP mit ihrem Parteichef symbolisch gleich mit zusammenklappt und ebenfalls einer Behandlung bedarf, hätte man wohl kaum erwartet.

Noch immer nicht erhohlt vom Dauerangriff auf den ehemaligen Fast-Spitzenkandidaten Grasser, und das im Moment nicht wirklich Imagefördernde Engagement des ehemaligen Echt-Spitzenkandidaten Schüssel als Atomlobbyist,  ist die ÖVP einmal mehr im Visier der Korruptionsjäger. Da wird der ÖVP Spitzenkandidat der EU Wahl 2009 von JournalistInnen der Sunday Times gnadenlos vorgeführt, wie er sich brüstet mit unglaublichen Zahlungen an ihn um Gesetzesentwürfe für seine Kunden zu „verbessern“, und wie er aus dem Nähkästchen des Lobbyisten plaudert, der vermeintlich Europaparlamentsmitglied wurde, nur um sein Netzwerk für später zu verfeinern. Das ganze wirkt leider nicht wirklich außergewöhnlich sondern scheint in Brüssel „no na part of the game“ zu sein, kaum verwunderlich also, wenn auch nicht weniger schlimm, dass auch ÖVP Spitzenpolitiker an vorderster Korruptionsfront mit dabei sind. Pröll und seine Kollegen (evtl. sogar einige der wenigen Kolleginnen) werden also jetzt schwer bereuen, dass sie Strasser gegen den „Vorzugstimmenkaiser“ Karas, der nicht nur vom Wahlvolk präferiert wurde, sondern auch klar kompetenter und vertrauenswürdiger ist, durchgedrückt haben, und nicht nur das Wahlvolk betrogen sondern sich – wie nun offensichtlich wurde, jedoch auch vorher absehbar war – selbst ein Bein gestellt haben.

Hinten und vorne krachen der ÖVP symbolische aber auch physische Beine zusammen, überall knackts in dieser Partei. Da passt es ins Bild dass nun Ferdinand Maier, bekannt für seine üblich zynischen Wortmeldungen, das einzige was man so von ihm so hört – einen Brief (hier der Artikel dazu) an den VP Klubvorsitzenden Karlheinz Kopf geschrieben hat, indem er diesem so einiges an den Kopf wirft. Von einer „Verhöhnung des Klubs“ und „Dilettantismus“ ist hier zu lesen, die Parteispitze die also abgehoben von der so genannten Basis – zu der sich auch Maier zählen kann, immerhin ist er ja Generalsekretär des Raiffeisenverbandes, also so zu sagen der Inbegriff der ÖVP-Basis – agiert, insgesamt scheint dieser Brief also nicht unbedingt allzuviel Neues zu enthalten.

Zentral scheint mir jedoch die Aussage, dass die ÖVP Spitze eine „Elfenbeinpolitik“ betreibe. Tja, jetzt ist es ans Licht gekommen, die ÖVP ist nicht die Lobbypartei der Raiffeisen sondern der Großwildjäger, „Elfenbeinpolitik“ ist wohl die wahre Enthüllung der letzten ÖVP-Krisengebeutelten Wochen. Vielleicht meinte Maier ja auch eine Elfenbeinturmpolitik, was durchaus Kontext passend wäre, mir scheint hier jedoch Maiers originale Wortwahl zutreffender zu sein.

Vielleicht tritt die ÖVP ja bald unter dem Namen, der in der Szene schon seit längerem bekannt ist, auch bei der Wahl an, und wir können uns dann endlich für die ÖGP entscheiden, die eine Lücke in der Österreichischen Parteienlandschaft füllt. Wirtschaftsliberale Parteien haben wir doch schon genug, wir brauchen eine Österreichische Großwildjäger Partei (ÖGP), die eben noch wirkliche „Elfenbeinpolitik“ macht.

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